Ostern steht vor der Tür, wir wollen dem alten Brauch folgen, und Ostereier bemalen. In Schwabach gibt es das Eisenbahnmuseum, es bietet auch eine ganze Etage kunstfertig bemalter und gestalteter Eier, die man sich zum Vorbild für die österliche Dekoration des eigenen Hauses nehmen kann. Hier bieten wir eine Variante, wie wir sie schon seit mehreren Jahren mit großer Begeisterung im Kollegenkreis pflegen: Wir blasen die Küken-Behausungen mit einer Spritze aus, polieren die Schale und verzieren sie kunstfertig auf vielfältige Weise. Das Exprimat kann man noch zu einem feinen Omelett verarbeiten.
Zuerst suchen wir aus einem Gelege die am schönsten geformten Hühnereier aus. Mit einer starken Taschenlampe wird jedes Ei durchleuchtet, und Schwächlinge mit Kalk-armen Flecken werden aussortiert, auch solche mit stärkeren Unregelmäßigkeiten der Oberfläche, besonders am Nordpol. Die Farbe spielt bei der Auswahl keine große Rolle, durch unsere Behandlung werden die Eier zum Schluss ohnehin alle nahezu weiß.
Ausblasen
Zu allererst werden die Eier außen mit Spülmittel und Papiertuch ordentlich abgewaschen. Im Kindergarten ist es Tradition, mit einem Nagel in jedes Ei zwei riesige Löcher einzuschlagen, eines an jedem Pol. In das eine Loch wird mit dem Mund Luft hineingepustet, aus dem anderen entleert sich dabei der Inhalt. Als Angehörige der Medizinberufe haben wir aber immer eine Spritze und Kanülen zur Hand, um Ostereier zu perforieren und auszublasen. Wir brauchen nur eine einzige, sehr kleine Öffnung – Eingang für die Luft und Ausgang für das Exprimat zugleich. Sie leistet später auch gute Dienste als elementarer Bestandteil der Aufhängung.
Die Perforation wird am kleineren (Nord-)Pol angebracht, haargenau in der Mitte. Versucht man diese freihändig zu finden, geht das jedes zweite Mal daneben. Dann hängt das Ei später schief am Osterstrauß und, noch schlimmer, es torkelt herum, wenn es, am Nylonfaden schwebend, in eine Drehbewegung versetzt wird. Wir wollen aber an die Pirouetten einer Eistänzerin erinnert werden. Wie trifft man also bei der Perforation die richtige Stelle? Wir machen uns mit dem Finger einen hauchdünnen Film Butter, Öl oder Wasserfarbe auf einen Teller und stellen das Ei schön gerade mit der Spitze auf diesen Film. Das wiederholen wir, nachdem wir das Ei 90° um seine Zentralachse gedreht haben. Die Spitze präsentiert uns jetzt ein sehr kleines benetztes Feld, in dessen Zentrum wir die Punktion vollziehen. Dazu verwenden wir eine abgebrochene 28er Kanüle (oder eine Stecknadelspitze) und einen schweren Hammer.
Besser aber setzt man in den Nordpol ein Bohrloch von 0,6mm Durchmesser (Nullkommasechs), rund und nicht ausgefranst. Vor allem die dickschaligen Perlhuhn-Eier bekommen sonst im Punktionsbereich oft Risse an der Wand wie ein Denkmal-geschütztes altes Haus. Ich habe mir dazu eine kleine Bohrmaschine mit Stativ zugelegt.
Der Hammer: Nur für Eier mit nicht zu dicker Schale
Wir verdrängen den Inhalt des Eies, indem wir mit der Spritze Luft in die Öffnung injizieren. Bis zur völligen Entleerung halten wir jetzt die Öffnung stets nach unten. Zwischen jeder Luftinjektion stellen wir das Ei in ein durchsichtiges Schnapsglas. Zuerst tritt das flüssige Eiweiß aus, später auch das Eigelb. Am Anfang darf man nur einen Kubikzentimeter Luft injizieren, sonst bricht das Ei auseinander, weil sich Eiweiß und Eigelb im Gegensatz zu Luft kaum komprimieren lassen. Immer wieder zieht man die Kanüle heraus, um Platz für die Entleerung des Inhaltes zu schaffen. Je mehr Luft man eingebracht hat, umso mehr permanenten Überdruck kann man aufbauen, der beständig die Flüssigkeit nach außen treibt. Um die Sache anzukurbeln, bewegt man die Kanüle von Zeit zu Zeit ein wenig in der Öffnung hin und her und drückt immer wieder etwas Luft nach. Verstopft ein Stückchen Eihaut die Öffnung, ziehen wir es mit einer Pinzette weg oder streifen es an einem Papierhandtuch ab. Nach einer halben Stunde entweicht hörbar der Überdruck und am Ostium schäumt es, man kann das Ei innen und außen waschen.
Die ersten Kubikzentimeter kann man mit dem Mund absaugen, um etwas Platz für die komprimierende Luft zu schaffen. Dann geht alles doppelt so schnell.
Beim Ausblasen mit der Spritze ist im übrigen Vorsicht geboten: Pumpt man unachtsam zu viel Luft in das Ei, kann es mit einem höllischen Donnerschlag detonieren und durchaus ein Knalltrauma hervorrufen. Ungeübte sollten deswegen bei dieser Betätigung vorsichtshalber einen Hörschutz tragen und Kinder fernhalten. Aber man benötigt trotzdem zum ende hin einen gewissen Überdruck, sobald Eihaut das Ostium verstopft – ein wenig Risiko muss sein!
Eine Vereinfachung für Kinder: Während Puristen das Ei an seiner Spitze mit einer (ultradünnen) 28er Kanüle penetrieren und es mit diesem Kaliber auch ausblasen, nehmt Ihr eine (dicke) 1er Kanüle und macht mit ihr das Loch an der Seite. Während man dort die Luft mit der (dünneren) 28er Kanüle injiziert, kann die Flüssigkeit schon austreten, weil das Loch durch die Kanüle nicht voll blockiert wird wie bei der Einser. Man braucht die Nadel nicht immer wieder herauszuziehen, um der Flüssigkeit Platz zu machen, das Ausblasen und später das inwändige Waschen geht ruckzuck und es besteht kaum noch Explosionsgefahr. Beim Bemalen wird das große Loch einfach mit Farbe verschlossen und übertüncht. Und zum Schluss macht Ihr an der Polspitze ein zusätzliches (unausgefranstes!) Loch mit einer 28er Nadel oder mit der Spitze einer Stecknadel oder mit der Bohrmaschine, für eine elegante ultradünne Aufhängung mit dem Nylonfaden. Die verlogene Punktion sollte etwa in der Mitte zwischen der Spitze des Nordpols und seitlicher Zirkumferenz ausgeführt werden, dass man später im Eier-Waschsalon immer gleich weiß, wie herum das ovale Kalkgebilde in die Spülflüssigkeit getaucht werden muss.
Ausspülen
Zum Ausspülen der ausgeleerten Kükenhäuser injizieren wir mehrmals ein paar Kubikzentimeter Seifenwasser, schütteln das Ei und drücken den Inhalt wieder pneumatisch heraus. Das machen wir fünfmal, solange, bis die aus dem Ei spritzende Brühe nicht mehr trüb ist. Danach erleichtern wir uns die Arbeit durch ein Wechselbad: Fasst das Ei mit einer Grillzange an und lasst langsam kochend heißes Wasser darüber tropfen: Die Luft im Ei erwärmt sich und dehnt sich aus. Jetzt taucht Ihr das Ei innerhalb einer Sekunde mit dem Loch nach unten tief in eine Schüssel mit kaltem Wasser: Die Luft zieht sich zusammen und das Wasser strömt ein. Dann schüttelt das Ei und gießt wieder etwas heißes Wasser darüber: Befindet sich das Loch unten, spritzt der Inhalt heraus. Falls der Druck nachlässt, bevor das Ei leer ist, taucht man es 10 Sekunden lang ins kalte Wasser und lässt dabei das Atemloch heraus schauen, wie der Wal, wenn er einatmet. Jetzt noch einmal heiß, mit dem Loch nach unten, und der Rest entleert sich. Man prüfe vor dem Beträufeln mit dem heißen Wasser, ob das Loch frei „atmen“ kann und nicht durch Eihaut-Reste verstopft ist, so manches Ei ist uns schon explodiert, als wir es schlagartig in kochendes Wasser gehalten haben. Ab 50°C gerinnen das Eiweiß und das Eigelb, deshalb sollte man das Wasser bei den ersten Spülgängen mit der Spritze injizieren und ausblasen und erst danach mit dem Wechselbad beginnen.
Wir wenden etwa 15 Thermocyclen an, dann ist das Ei innen sauber. Früher haben wir für alle Schritte der Innenwäsche das Wasser durch die (lange) 28er Kanüle ins Ei gepresst (die Daumen-Grundgelenke brachten sich nach solchen Aktionen immer eine Woche lang schmerzend in Erinnerung). Das Innenkaliber der Kanüle ist weitaus enger als unser Loch im Ei, und die Kanüle ist 50 Mal länger als die Eierschale dick. Entsprechend mühsam war die Waschprozedur mit der Spritze – die Wechselbad-Technik ist eine einfache und schnelle Alternative, vielleicht erhalten wir dafür auch noch einen Nobelpreis wie die Erfinder der Thermocyclus-basierten Polymerase-Chain-Reaktion. Ich weiß aber nicht, ob jemand drei Nobelpreise kriegen kann, von den anderen wird man noch zu hören bekommen. Man kann als Wärmequelle auch einen Küchenofen verwenden, den man auf 80°C stellt, und gleichzeitig 20 Eier nebeneinander leertropfen lassen.
Oder man lässt das Wasser passiv über einen dünnen Schlauch mit ausgezogener Spitze aus einem Meter Höhe eintropfen, gleich 6 Eier nebeneinander, auch mit den ganz kleinen Löchern ohne Mühe, zur Schonung des Daumengrundgelenkes. Zum Entfernen der Flüssigkeit wird dann wie zu Beginn Luft injiziert, die lässt sich tausendmal leichter durch die dünne Kanüle drücken als Wasser. Aufpassen, wenn die Eier versehentlich zu voll geworden sind: Dann darf man, wie am Anfang, zuerst nur wenig Luft einblasen, sonst brechen sie auseinander. Für die Massenproduktion verwende ich eine Vakuumpumpe, um die Waschflüssigkeit nach jedem Cyclus abzusaugen.
Und jetzt das Neueste: Am einfachsten bringt man Wasser in das zu waschende Ei, indem man ein halbes Schnapsglas Wasser in den Mund nimmt, die Luft aus dem Ostium heraussaugt, um dann die Flüssigkeit aus dem Mund einströmen zu lassen. Das ist am effektivsten, denn das Hagen-Poiseuille Gesetz verlangt linear nach einem kurzen Weg und in vierter Potenz einem großen Durchmesser. Kapillaren verwende ich nur noch, um Luft zum Auspusten in die Eier zu injizieren oder für die Applikation einer kleinen Menge Spülmittel, weil mir Fit und Pril nicht schmecken.
Am Ende der Spül-Prozedur werden die von Spülflüssigkeit restlos entleerten Eier einer 15-minütigen Dampf-Sterilisation unterworfen – im Eierkocher oder im Konvektomaten, dass bis zum nächsten Ostern innen keine Bakterien wachsen, auf deren Beitrag zur farblichen Verzierung der Oberfläche und Aromatisierung der Atemluft wir gerne verzichten. Das passiert, wenn man auf das Waschen verzichtet. Im Falle der Massenproduktion (ab zwei Eiern) legt man vorsichtshalber jedes Ei einzeln in eine Tasse, dass nicht beim Ansteigen der Temperatur Obstipations-bedingte Explosionen auftreten und benachbarte Kollegen auch noch beschädigt werden.
Abschleifen und polieren
Jetzt ist es Zeit, sich der Oberfläche der Eier zu widmen und sie abzuschleifen und glatt zu polieren, bevor man mit dem Malen beginnt: Ein zu grobes Schleifpapier kann zwar sehr effizient sein, macht aber tiefe Spuren, die man später nicht mehr wegbekommt. Erst wenn man bei den feineren Körnungen angelangt ist, wird der Schaden in Form von nicht hinnehmbaren Kratzern sichtbar.
Verwendet mit künstlichen Industrie-Diamanten beschichtete Folien, und startet mit Körnung 45 Mikrometer. Mit dieser müsst Ihr das Ei so lange traktieren, bis sämtliche Grübchen und alle Farbe definitiv abgerieben sind und die Oberfläche amorph geworden ist. Und drückt nicht zu fest, damit auch die 45er Folie keine zu tiefen Spuren hinterlässt.
Am besten hält man das Ei beim Abschleifen mit einer Hand fest umschlossen und lässt einen Spalt frei, der vom Daumenendglied der anderen Hand bearbeitet wird, auf das man sein Stück Diamantfolie geklebt hat. Zuerst schiebt und zieht man langstreckig in Richtung der beiden Pole, dann reibt man kreisförmig. Immer wieder im Wechsel. Man wendet in beiden Richtungen etwas Druck an, überfordert aber nicht die Stabilität der Schale. Solange der Diamant etwas zu greifen hat und das Schieben und Ziehen schwer geht, ist man noch nicht fertig. Und jede viertel Minute muss man den Abrieb mit einem Tuch abwischen, der sich zwischen die Diamantkörner gelegt hat.
Mit der 45er Körnung werden erst einmal die groben Unebenheiten der natürlichen Deckschicht überwunden, bei jeder der nächsten Folien mit zunehmend feinerer Körnung werden dann die Krater abgeschliffen, die von der jeweiligen Vorgängerfolie eingraviert wurden. Deshalb fühlt man auf jeder Stufe zu Beginn einen höheren Reibungswiderstand als am Ende, und es gibt mehr Abrieb. Je weniger es bremst und je weniger heiser es beim Polieren klingt, umso näher ist man bei jeder Körnung dem Ziel – vorausgesetzt, die Diamantschicht hat sich noch nicht von der Folie abgelöst, das muss man immer wieder kontrollieren. Dann fühlt es sich an, als ob man mit dieser Körnung durch wäre, und reibt eine Viertelstunde umsonst. Zum Schluss jeder Stufe poliert man das ganze Ei mit einem frischen Folienabschnitt und drückt jetzt nur noch leicht, damit sich keine tieferen Furchen bilden, als die nächstkleineren Diamanten bewältigen könnten.
Nass-Schleifen: Wir setzen (nur) bei Stufe 45 am besten Wasser ein: Es erhöht erstens die Adhäsionskräfte und damit die Effizienz, zweitens spült es den Abrieb weg. Man kommt mit Wasser doppelt so schnell vorwärts wie beim Trockenschleifen. Alle 15sec den Schlamm abspülen abspülen, vom Ei und von der Polierfolie. Mit viel Feingefühl jegliche Rauigkeit wegschleifen, und dabei auf gleichmäßigen Abtrag achtgeben, nicht dass es stellenweise zu dünn wird. Dünne Stellen erkennt man mittels einer Lampe. Man muss im Übrigen aufpassen, dass die Klebeschicht der Folie beim Schleifen nicht nass wird, sonst löst sich das Schleifpapier sehr schnell vom Daumen. Wenn die Klebekraft nachlässt, hilft ein starkes Doppelklebeband, um das teure Schleifpapier noch aufbrauchen zu können.
Mit der 45er Körnung wird erst einmal die ganze harte Oberfläche abgerieben, das kostet die meiste Mühe und mindestens eine Stunde pro Kükenhaus. Dann macht man bald mit Körnung 30 weiter, die weniger tiefe Spuren hinterlässt. Mit keiner Stufe darf man zu fest aufdrücken, sonst sieht man am Ende in der glänzenden Oberfläche tiefe Krater! Das gilt besonders für Stufe 45.
Folien 45 und 30 von 3M sind wasserfest, bei den Folien mit feinerer Körnung ist das nicht der Fall. Deshalb wird von 15 über 9, 6, 3, 1, 0,5 bis 0,1 Mikrometer trocken durchpoliert. Jetzt steht der Abtransport des Abriebs nicht mehr so im Vordergrund, man muss aber trotzdem alle 15 Sekunden den feinen weißen Staub mit einem Tuch von der Diamantfolie wischen (mit dem Hemdsärmel erst ab 3 Mikrometer, sonst nimmt der Stoff Schaden!). Der Abrieb behindert den Schleifvorgang, sich zwischen die Diamantkörner setzend, und täuscht außerdem akustisch und taktil eine Rest-Rauigkeit vor, weil er die Reibung erhöht. Für jede trockene Bearbeitungsstufe reichen ein oder zwei Daumenendglied-große Folienstückchen aus.
Irgendwann nutzt sich die Diamantschicht ab: Man fühlt beim Schleifvorgang weniger Reibung, und wenn man mit dem Finger über die diamantene Oberfläche der Folie streicht, fühlt es sich wenig rau an. Dann nimmt man einen neuen Folienabschnitt. Den feineren Sorten sieht man die Abnutzung an, wenn man die Abschnitte gegen das Licht hält – die Folie wird an den betroffenen Stellen durchsichtig oder die Diamantseite spiegelt das Licht.
Vor jedem Übergang auf die nächstfeinere Körnung muss all das Material vollständig und gleichmäßig abgeschliffen sein, das mit der aktuell verwendeten Folie zu schaffen ist. Die lichtstarke Taschenlampe beweist es oder die helle Sonne bringt es an den Tag: Eine halbe Stunde mit Stufe 45 reicht nicht aus, es finden sich in der Regel immer noch Bereiche mit Grübchen, die sich meistens auch vom Weiß der sauber abgeschliffenen, amorph erscheinenden Oberfläche abheben, und die müssen weg, sonst ärgert man sich später, denn die Unvollkommenheiten werden mit jeder Polierstufe deutlicher. Bei der Ermessung des Zeitaufwandes für jedes zu polierende Ei veranschlagen wir ein bis zwei Stunden mit Stufe 45, fünf Minuten mit Stufe 30 und jeweils 2 Minuten mit jeder weiteren Folie.
Man sollte den Arbeitsfortschritt immer wieder unter der Lichtquelle kontrollieren. Vor dem Übergang zur nächstfeineren Folie muss es überall gleichmäßig reflektieren, an den noch zu matten Stellen muss mit der aktuellen Folie weiter poliert werden. Je feiner die Körnung, umso mehr glänzt es. Hat man nicht alle Rauigkeiten mit einer Folie beseitigt, bleiben dort die Diamantkörner der nächstfeineren Körnung hängen, mitsamt dem Klebstoff, mit denen sie an der Folie haften, und es wird matt. Dann immer alle paar Sekunden den Abrieb von Ei und Folie kräftig an einem Tuch abwischen.
Und je dünner die gesamte Schale wird, umso weniger Druck darf man anwenden. Ab 6 Mikrometer sollte man sowieso nicht zu fest drücken, sonst wischt man einen Teil der Beschichtung der Polierfolie ab, und der Klebstoff des Diamantbelages schmiert über die Oberfläche. Da wundert man sich, warum der Glanz wieder verschwindet. Aus diesem Grunde lässt man das Schleifpapier unter 3 Mikrometer nur noch ganz sanft über die Oberfläche gleiten. Klebrige Stellen kann man mit einem Keramikschwamm aus dem Haushalt kurz abreiben.
Mittels der Lampe erkennt man auch dünne Bereiche, bei denen man zu viel abgerieben hat, sie erscheinen im indirekten Licht dunkel. Man sollte dort nicht mehr zu fest aufdrücken und auf vollendeten Glanz verzichten, vielleicht übermalt man die Schwachstellen später. Sonst hat man drei Stunden lang poliert, es macht am Ende „klick“, und man kann die Schale nur noch an die Hühner verfüttern, recyclieren.
Sobald man mit 0,1 Mikrometer fertig ist, glänzt das Ei gleichmäßig auf der gesamten Oberfläche wie Meißener Porzellan und zeigt eine an keiner Stelle unterbrochene Spiegelwirkung (Spiegelei). Nach drei Stunden Schwerarbeit kann man endlich mit der Bemalung beginnen. Spätestens jetzt, aber auch schon ab 9 Mikrometer, wo die Eierschale Glanz zu zeigen beginnt, werden Nachlässigkeiten sichtbar, die man auf einer oder mehreren vorangegangenen Polierstufen geglaubt hat, sich leisten zu dürfen: Da und dort treten in aller Deutlichkeit anklagende Grübchen oder Kratzer zutage, oder manche Teilflächen sind stumpf geblieben und lassen den vollendeten Glanz vermissen. Man kann den Makel vielleicht durch Übermalung unter den Teppich kehren, wo das nicht möglich ist, man wird sein Leben lang zu Ostern auf sein Versagen hingewiesen. Zur einzig möglichen Entschuldigung kann man auf Schwachstellen der Schale hinweisen, die eine absolute Glanzleistung vereitelt haben.
Vergolden
Zum Vergolden der Eier besorge man sich im Bastel-Laden einen Elektronenstrahl-Verdampfer mit einer Ultravakuum-Kammer. Wenn die Eier dann an einem dünnen Nylonfaden am Osterbaum hängen, wundert sich jeder: Das Objekt sieht aus wie ein schwerer Goldklumpen, das Ästlein biegt sich aber nicht.
Präsentation
Nach ihrer Vollendung können die Kunstwerke in eine Schale gelegt und in einer Vitrine präsentiert werden. Traditionsbewusste Anhänger der Kultur des Abendlandes werden aber darauf dringen, dass die Objekte an einem frühlingshaften Ostergeäst aufgehängt werden.
Installation
Bei der Aufhängung kommt man mit Streichhölzern aus dem Kindergarten nicht weiter, unsere Kunstwerke sind doch keine Buddelschiffe! Also stellen wir uns Vorrichtungen aus Kanülen her, wie wir sie für die initiale Punktion verwendet haben.
Die Kanülen brechen wir ab, schieben einen feinen Nylonfaden durch (Faden schräg abschneiden, dass er sich in die Kanüle einführen lässt), dessen äußeres Ende mit einer Öse versehen wird. Durch die Öse ziehen wir später beim Aufhängen den langen Faden und formen eine Schlinge, die wir um den Zweig legen und die sich selbst zuzieht, man kann sie aber auch leicht wieder lösen.
Die scharfe Kanülenspitze biegen wir nach rückwärts um, sie liegt später der Öffnung von innen an und kann nicht herausgleiten, wenn das Ei am Faden hängt. Am anderen Ende der Kanüle haben wir zwei feine Knoten angebracht und festgezogen, die nicht durch die Kanüle passen, sich aber bei der Implantation der Aufhängung gerade noch von außen durch das Ostium des Ostereis stopfen lassen.
Die meisten Bilder sind gemalt von Zhu Lei.